RATGEBER - Depressionen
Das depressive Kind
Vor der Pubertät ist die Zahl depressiver Jungen und depressiver Mädchen etwa gleich groß. Danach nimmt der Anteil junger Frauen mit Depressionen übermäßig stark zu.
Weibliche Teenager sind dann rund zwei- bis dreimal so häufig depressiv wie männliche Jugendliche. Laut des in Fachkreisen bekannten Kinder- und Jugendpsychologen Prof. Dr. Franz Petermann ist einer der Gründe dafür darin zu sehen, dass Mädchen die körperlichen und sozialen Veränderungen während und nach der Pubertät als wesentlich belastender empfinden.
Im Vergleich zu gleichaltrigen Jungen besitzen sie ein niedrigeres Selbstwertgefühl, können sich schlechter zur Wehr setzen und leiden stärker unter Spannungen und Streitigkeiten in der Familie. Auch das eigene Aussehen spielt hier eine wichtige Rolle: Angestachelt durch untergewichtige Topmodels und ebensolche Popstars streben viele Mädchen ein ungesundes Idealgewicht an.
Selbst schlanke und normalgewichtige Mädchen empfinden ihren Körper als hässlich und viel zu dick. Die Folge sind einseitige Diäten und exzessive sportliche Betätigungen. Leider ist das oft der erste Schritt in Richtung Depression und Essstörung.
Bei Kindern ist die Depression oft hinter unklaren körperlichen Beschwerden oder ständiger Gereiztheit und schlechter Laune versteckt. Psychologen nennen dieses Phänomen eine „larvierte Depression“. Wegen der unspezifischen Symptomatik der larvierten Depression werden depressive Störungen bei Klein- und Kleinstkindern oft nicht als solche erkannt. Je älter das betroffene Kind ist, umso mehr gleichen die Beschwerden dann denen von erwachsenen Depressiven.
Typisch für depressive Kinder
Bei Klein- und Kleinstkindern äußert sich eine Depression oft durch körperliche Beschwerden. Am häufigsten klagen die Kleinen über Kopf- und Bauchschmerzen, gefolgt von Übelkeit und Schwindelgefühlen. Auch Rückenschmerzen und ständiges Schwitzen können Anzeichen für eine depressive Störung sein.
Für all diese Beschwerden gibt es keine medizinische Erklärung. Darüber hinaus sind depressive Kinder vielfach unruhig, rastlos, schnell gereizt und ziehen sich stark zurück.
Typisch für depressive Jugendliche
Hauptmerkmal depressiver Störungen bei Heranwachsenden sind negative Gefühle wie Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit. Diese treten oft in Verbindung mit Grübeleien, Ängsten und starker Unruhe auf. In Ausnahmefällen steigern sich diese Symptome zu Phobien oder zwanghaftem Verhalten.
Die meisten depressiven Jugendlichen leiden zudem unter einem übermäßigen Schlafbedürfnis oder massiven Schlafstörungen sowie unter einer Verlangsamung der Bewegungsabläufe. Viele nehmen stark ab beziehungsweise zu.
Besonders problematisch ist der häufig auftretende Alkohol- und Drogenmissbrauch. Dieser führt oft zu massiven Spannungen in der Familie und in der Schule beziehungsweise am Arbeitsplatz. Ähnlich wirken sich auch Störungen im Sozialverhalten aus.
Übereinstimmungen erwachsener und kindlicher Depressionen
- Depressive in beiden Lebensaltern haben ein negatives Selbstbild und ein niedriges Selbstbewusstsein.
- Die Depression tritt häufig in Verbindung mit anderen psychischen Störungen auf. Bei Kindern sind das vor allem Trennungsangst und Trotzverhalten, bei Jugendlichen Essstörungen und Alkohol- bzw. Drogenmissbrauch.
- Verlust von positiven Gefühlen wie Freude und Stolz, verbunden mit einem aktiven Vermeidungs- und Verweigerungsverhalten.
- Gewichtsabnahme beziehungsweise Gewichtszunahme. Bei Kindern bleibt oft eine angemessene Gewichtszunahme aus.
- Übermäßige Müdigkeit und Schlappheit.
- Verlangsamung der Bewegungsabläufe oder starke Unruhe und Hyperaktivität.
- Konzentrationsprobleme. Bei Kindern und Jugendlichen: Leistungsabfall in der Schule sowie Schulverweigerung.
- Psychosoziale Probleme. Bei Kindern und Jugendlichen: Schwierigkeiten mit Eltern, Lehrern und Gleichaltrigen.
Depressive Eltern = depressives Kind?
Kinder depressiver Eltern haben ein etwa sechsmal höheres Risiko, ebenfalls depressiv zu werden. Zudem erkranken die Kleinen im Schnitt früher und auch langwieriger an Depressionen.
Dieses Phänomen wird meist mit einer „genetischen Veranlagung“ erklärt. Ob das tatsächlich stimmt, konnte wissenschaftlich bislang nicht geklärt werden. Ergebnisse aus Zwillings- und Adoptionsstudien lassen jedoch einen entsprechenden Zusammenhang vermuten. Trotzdem steht fest, dass ungünstige Erbanlagen allein nicht automatisch depressiv machen.
Auch belastende Erlebnisse sowie eine schwierige Eltern-Kind-Beziehung spielen hier eine zentrale Rolle. Untersuchungen zufolge schmusen, spielen und sprechen depressive Eltern weniger mit ihren Kindern. Außerdem werden die Kleinen oft kritisiert und selten gelobt.
Viele depressive Mütter und Väter fühlen sich mit ihrer Elternrolle überfordert und stufen sich selbst als „unfähig“ ein. Dadurch verhalten sie sich oftmals unbeständig und wechselhaft gegenüber ihren Kindern. Im schlimmsten Fall führt das zu Vernachlässigung, Bestrafung und sogar Misshandlung.
Derartige Untersuchungsergebnisse dürfen nicht dazu führen, dass Sie sich als Eltern für die Depression Ihres Kindes verantwortlich und somit schuldig fühlen. Genau wie bei Erwachsenen sind auch bei Kindern die genauen Ursachen und Auslöser für Depressionen immer noch unklar.
In den oben genannten Untersuchungen konnte lediglich eine Tendenz festgestellt werden, die nichts über einzelne Familienbeziehungen aussagt. Schuldgefühle belasten nur die Beziehung zu Ihrem Kind und somit unter Umständen auch den Heilungsprozess.
Von der Einschulung zum ersten Liebeskummer
Der schwierige Weg des Erwachsenwerdens
Erwachsen werden ist schwer. Bevor aus Kindern junge Frauen oder Männer werden, müssen sie unzählige kleine und große Krisen bewältigen.
Einige davon sind vorprogrammiert, wie etwa die Einschulung oder körperliche Veränderungen in der Pubertät. Andere betreffen nur einen Teil der Heranwachsenden, zum Beispiel ein Umzug in eine andere Stadt oder entmutigende sexuelle Erfahrungen.
Genau wie bei Erwachsenen gibt es auch bei Kindern und Jugendlichen einen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen der Anzahl und Schwere dieser „kritischen Lebensereignisse“ und Depressionen.
Aber nicht nur schlimme Einzelerlebnisse wie beispielsweise Arbeitslosigkeit oder Krankheit in der Familie können depressiv machen. Auch Dauerbelastungen wie ständige Hänseleien durch die Mitschüler machen Kinder und Jugendliche anfälliger für Depressionen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn sie mit einem mangelnden Selbstbewusstsein und einem niedrigen Selbstwertgefühl der Betroffenen einhergehen.
Depressive Heranwachsende versuchen diese Negativerfahrungen oft durch Zurückziehen oder durch Alkohol- und Drogenkonsum zu bewältigen.
Was Ihr Kind in schwierigen Phasen ganz besonders braucht, ist Ihr Verständnis. Versuchen Sie nachsichtig zu sein, wenn sich Ihr Nachwuchs stundenlang in seinem Zimmer einschließt und die Musik laut aufdreht.
Setzen Sie aber auch klare Grenzen, wenn Ihre Nerven dauerhaft überstrapaziert werden. Bieten Sie sich immer wieder als Gesprächspartner an. Erzählen Sie in solchen Gesprächen ruhig von ähnlichen Erfahrungen. Das verbündet.
Aber geben Sie Ihrem Kind keinesfalls das Gefühl, sein Kummer sei bloß eine Lappalie und „es werde schon wieder“.
Seien Sie auch nicht gekränkt, wenn Ihr Kind lieber seine Ruhe haben möchte. Wenn die Situation jedoch außer Kontrolle gerät und Sie gar keinen Kontakt mehr zu Ihrem Kind finden, dann sollten Sie sich fachmännische Hilfe holen!
Nimmt mein Kind Drogen?
Haben Sie die Vermutung, dass Ihr Kind Drogen nimmt, lautet die wichtigste Regel: Nerven behalten, auch wenn es schwer fällt. Malen Sie sich nicht gleich das Schlimmste aus. Viele Jugendliche probieren irgendwann einmal Haschisch oder irgendwelche Aufputschmittel und werden nicht süchtig.
Bedenklich wird es jedoch, wenn sich Ihr Kind immer mehr zurückzieht und aggressiv auf Rückfragen reagiert. Auch Teilnahmslosigkeit und wiederholtes Schuleschwänzen können ein Alarmzeichen sein.
Versuchen Sie in dieser schwierigen Situation in jedem Fall, den Kontakt zu Ihrem Kind zu behalten. Drohungen und Vorwürfe führen nur dazu, dass sich Ihr Sohn oder Ihre Tochter immer weiter von Ihnen zurückzieht. Informieren Sie ihn oder sie möglichst sachlich über die Gefahren. Bieten Sie Informationsbroschüren an bzw. legen Sie diese Ihrem Kind auf den Schreibtisch.
Unterstützung und Hilfe finden Sie bei den Drogenberatungsstellen in Ihrer Umgebung. Dort können Sie auch Kontakt zu anderen betroffenen Eltern knüpfen.
Tipp:
Eltern sind immer auch ein Vorbild für ihre Kinder. Von daher sollten Sie möglichst nicht zu Alkohol und Nikotin greifen, wenn Ihr Nachwuchs dabei ist.
Wenn ein Kind nicht mehr leben will
Ein trauriger Rekord: Jahr für Jahr versuchen immer mehr Kinder und Jugendliche, sich das Leben zu nehmen.
Hauptrisikofaktor für Selbstmord bei Heranwachsenden sind depressive Störungen. Junge Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren unternehmen die meisten Selbstmordversuche überhaupt.
Unter den Suizidopfern sind dann allerdings dreimal so viele männliche wie weibliche Heranwachsende. Ein Grund dafür ist, dass Jungen brutalere Selbsttötungsmethoden wählen. Sie werfen sich vor einen Zug, erhängen oder erschießen sich.
Mädchen greifen dagegen vorzugsweise zu Tabletten oder schneiden sich die Pulsadern auf. Die Chance, dass sie rechtzeitig gefunden und gerettet werden, ist hier um einiges höher.
Als Begründung für die Tat werden meist familiäre Sorgen genannt, etwa der Verlust eines Elternteils durch Tod oder Scheidung. Auch der immer größer werdende soziale Druck, etwa die Angst vor drohender Arbeitslosigkeit und ihren Folgen, und die damit verbundenen Selbstwertprobleme spielen eine zentrale Rolle.
Auch für Depressionen bei Kindern und Jugendlichen gilt: Vorbeugen ist besser als behandeln. Die folgenden Strategien helfen dabei, Ihr Kind gegen Depressionen immun zu machen:
Fördern Sie das Sozialverhalten Ihres Kindes
Ein mangelhaftes Sozialverhalten, wie übermäßige Aggressionen oder starke Unsicherheit, führt zwangsweise zu Konflikten mit Familienmitgliedern, Lehrern und Gleichaltrigen. Von daher ist es sinnvoll, die sozialen Fähigkeiten Ihres Kindes so früh wie möglich zu fördern.
So sollte Ihr Kind beispielsweise seine Bedürfnisse und Wünsche klar äußern dürfen und dabei ernst genommen werden. Gleichzeitig muss natürlich deutlich gemacht werden, dass nicht alle seine Erwartungen erfüllt werden können. Idealerweise enden solche Auseinandersetzungen mit einem für alle Seiten annehmbaren Kompromiss.
Geben Sie Ihrem Kind ein positives Selbstbild mit
Ein gesundes Selbstbewusstsein macht Kinder und Jugendliche stark und schützt vor depressiven Störungen. Wenn sich ein Kind in seiner Haut wohl fühlt, dann strahlt es das auch aus. Das hilft ihm, schneller Kontakte zu knüpfen, leichter Freunde zu finden und mit diesen besser zurechtzukommen.
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass Ihr Kind viel Lob und Anerkennung bekommt und stolz auf sich und seine Erfolge sein darf. Dann kann es auch Misserfolge und Kritik wegstecken, ohne depressiv zu werden.
Tipp:
Fernsehen ist für die Bewältigung von Gefühlen äußerst ungeeignet. Negative Empfindungen und Erlebnisse werden dabei nicht verarbeitet, sondern einfach zur Seite gedrängt. Aus diesem Grund sollten Kinder nicht in die Röhre schauen, wenn sie traurig sind oder sich geärgert haben.
Helfen Sie Ihrem Kind dabei, Probleme zu lösen
Der kindliche Alltag steckt voller Probleme: schlechte Noten, Ärger mit dem besten Freund, Stress in der Sportgruppe. Die meisten davon kann Ihr Nachwuchs allein lösen.
Bei schwierigeren Problemen ist jedoch Ihre Hilfe gefragt: Denken Sie sich zusammen mit Ihrem Kind verschiedene Lösungsmöglichkeiten aus. Ermutigen Sie es dann, die aus seiner Sicht beste Lösung auszusuchen und auszuprobieren.
Darüber hinaus sollten Sie einen festen Termin vereinbaren, an dem das Ergebnis besprochen und gegebenenfalls nach neuen Alternativen gesucht wird.
Problemlösestrategien werden übrigens auch durch Beobachtung gelernt. Lassen Sie Ihr Kind also ruhig an eigenen Problemen teilhaben. Wichtig ist hier jedoch, dass Sie es nicht überfordern. Schwerwiegende oder sogar existentielle Probleme sollten Sie in keinem Fall mit Ihrem Kind besprechen.
Erziehen Sie Ihr Kind zur Selbständigkeit
„Ein Kind braucht zweierlei: Wurzeln und Flügel.“ Im Alltag bedeutet dieses australische Sprichwort einen kniffligen Balanceakt zwischen Freiraum gewähren und Schutz geben.
Räumen Sie Ihrem Kind nicht alle Probleme aus dem Weg, sondern bieten Sie ihm „Hilfe zur Selbsthilfe“ an. Zusammen mit einem positiven, aber realistischen Weltbild ist das die beste Voraussetzung, um eine starke und unabhängige Persönlichkeit zu werden.
Unterstützen Sie die Interessen Ihres Kindes
Jedes Kind hat besondere Talente und Interessen. Helfen Sie Ihrem Nachwuchs dabei, diese zu entdecken und weiterzuentwickeln. Legen Sie gemeinsam erreichbare Ziele fest und freuen Sie sich mit Ihrem Kind über seine Erfolge.
Das Ganze sollte möglichst spielerisch und ohne Leistungsdruck ablaufen. Auf diese Weise vermitteln Sie Ihrem Kind viel Lebensqualität und -freude. Und: Ein aktives Kind ist weniger anfällig für Depressionen.